«Abendstunde im Spätherbst» rangiert in der Bekanntheitsskala im Werk von Friedrich Dürrenmatt hinter Bühnenstücken wie «Der Besuch der alten Dame», «Die Physiker» oder «Es steht geschrieben». Von Dürrenmatt 1957 als Hörspiel verfasst und ein Jahr später im Schweizer Radio DRS mit Walter Roderer und Carl Kuhlmann gesendet, hat es aber alles, was eine packende Handlung ausmacht.
Kaspar Lüscher, Autor, Schauspieler, Erzähler und Sprecher aus Gipf-Oberfrick, hat offenbar das Potenzial des Stücks erkannt. Nach dem Solo «Karl mit Hund» (2017) hat er «Abendstunde im Spätherbst» zusammen mit Wilfried Gronau bearbeitet und am Freitag im Kornhauskeller in Frick zum ersten Mal auf die Bühne gebracht.
Sie halten Abstand zueinander
75 Minuten dauert die Aufführung ohne Pause, und jede Minute ist es wert, dabei zu sein. Denn was Lüscher und Gronau beherrschen, ist das fast beiläufige Aufbauen einer ungeheuren Spannung mit einem Minimum an Equipment.
Die Bühne ist mit einem schwarzen Tuch umrandet, auf dem Boden befinden sich ein Stuhl und ein Dutzend Kartonschachteln, die sowohl als Unterlage für einen Computer als auch als Sitzgelegenheit dienen. In einer Schachtel steht eine Whiskyflasche, an der Wand hängen Kartonfetzen, die Fotografien darstellen sollen.
Bei dieser Ausstattung bleibt es während der ganzen Aufführung. Auch die äussere Handlung ist minimal: wenig Action, kein ständiges Hin und Her und Rein und Raus. Die Schauspieler bewegen sich wie Tennisspieler jeder auf seiner Seite – Lüscher oft rechts, Gronau links. Selten wird die Linie überschritten, man hält Abstand zueinander.
Das klingt vielleicht nicht nach viel Abwechslung, aber die braucht es in der Inszenierung unter der Regie von Werner Bodinek gar nicht. Denn das Stück sticht durch eine kluge Handlung hervor, die aus einem einfachen Besuch einen Sog entwickelt, der das Publikum hineinzieht. Die Dialoge sind es, die zählen, und die Intensität der schauspielerischen Darbietung.
Darin sind Lüscher und Gronau Meister. Wie sie sich einander annähern, sich gegenseitig umschleichen – Gronau lässig im weissen Bademantel, Lüscher korrekt mit Anzug, Krawatte und Aktentasche – hat Gänsehautfaktor.
Was auch zählt: Die Idee, wie eine Begegnung zweier unterschiedlicher Charaktere auf ein dramatisches Ende zuläuft, während für die Zuschauer zwar früh klar wird, dass jeder der beiden Männer eine Taktik verfolgt, aber nicht klar ist, welche. Der Clou ist, dass selbst dann, wenn sich der Nebel lichtet, die Spannung nicht abflacht.
Am Ende knallts – aber es kommt doch wieder anders
Lüscher und Gronau agieren bis zum Schluss diszipliniert, wahrhaftig, mit Witz und einmal mit einer echten Zigarre. Dafür gab es am Freitagabend verdientermassen einen tosenden, nicht enden wollender Applaus. «Volltreffer», bemerkte Kaspar Lüscher später.
Lüscher spielt Fürchtegott Hofer, einen akribischen Buchhalter, Gronau – er lebt im süddeutschen Städtchen Schopfheim – den Schriftsteller und Nobelpreisträger Maximilian Friedrich Korbes. Der hat seinen Erfolg möglicherweise blutig verdient, das ist jedenfalls Hofers Meinung. Weshalb er Korbes die Stirn mit einer gewagten These bietet, auf die Gefahr hin, dass er selbst zum Opfer wird. Am Ende knallts, aber es kommt dann doch wieder anders, als man meint.